Autoren: Sven Schröder, Gesa Meyer-Hamme
Teil 1 – Theoretische Grundlagen und praktische Therapie
Polyneuropathien sind immer mit Strukturschäden der peripheren Nerven verbunden und damit aus Sicht der Chinesischen Medizin mit einer depletio yin (energetische Schwäche des Yin, yinxu) vergesellschaftet, so dass die Stützung des Yin für alle Formen der Polyneuropathie sinnvoll ist. Durch die depletio yin (energetische Schwäche des Yin, yinxu) entstehen sekundär depletio qi lienale et renale (energetische Schwäche des Qi der Fk „Milz“ und „Niere“, pi shen qi xu), eine Blockade der Leitbahnen durch humor („Feuchtigkeit“, shi) und pituita („Schleim“, tan) und eine Tendenz zu algor („Kälte“, han) mit verschlechterter Kapillarfunktion, wodurch Qi und Xue die Extremitäten nicht mehr ausreichend erreicht. Dies führt zu Taubheitsgefühlen, schlaffen Lähmungen, kalten Extremitäten und Schwellungen. Hierfür kann die Kombination der Punktegruppen EX-LE12 („Ende des Qi“, qiduan), Ex15/Ex-UE-11 („Die zehn Drainagen“, shixuan), Ex19/EX-LE-10 („Die acht Winde“, bafeng), Ex14/EX-UE‑9 („Die acht Schrägläufigkeiten“, baxie) und der foramina rimica (Spaltpunkte, xixue) als Grundkonzept mit breiter Wirkung angesehen werden. Daher wird diese effektive Punktkombination häufiger in wissenschaftlichen Studien eingesetzt (siehe Teil 2 dieses Artikels). Weitere sekundäre Folgen der depletio yin (energetische Schwäche des Yin, yinxu) wie depletio yang (energetische Schwäche des Yang, yangxu), ventus internus (innerer „Wind“, neifeng), calor depletionis („Hitze“ aufgrund energetischer Schwäche, xure) und Xue-Stase und konsekutive Symptome wie Eiseskälte, Missempfindungen, Krämpfe, neuralgische Schmerzen, Brennschmerzen, Lividität können auftreten. Für die Behandlung dieser Probleme muss das Konzept angepasst werden.
Teil 2 – Grundkonzepte und Studienlage
Die Periphere Polyneuropathie (PNP) ist eine u. a. durch Diabetes mellitus und Chemotherapeutika verursachte strukturelle Nervenschädigung. Klinisch treten typische distal betonte Parästhesien, Schmerzen, Sensibilitäts- und Funktionsverluste der Extremitäten auf. Außer der Palliation von neuropathischen Schmerzen und Parästhesien gibt es keine pharmakologische Therapie. Die Akupunktur begegnet dem Bedarf an neuen Therapien für die PNP. Die Quantifizierung von Nervenschäden durch Elektroneurographie ermöglicht zugleich eine objektiv messbare Untersuchung der Akupunkturwirkung.
Nach Kriterien der TCM bedeutet die PNP eine Schädigung des Yin. Ein Diabetes mellitus entspricht dem Xiaoke-Syndrom (sitis diffundens, xiaoke), die diabetische PNP als Komplikation dem Wei-Syndrom (atrophisches Syndrom, weizheng) und die Chemotherapie-induzierte PNP (CIPN) weitgehend dem schmerzhaften Bi-Syndrom (occlusiones, bizheng).
Seit den 1980er-Jahren wurden mindestens 600 klinische Studien, 26 Reviews und 3 Overviews zu Akupunktur bei diabetischer PNP sowie 800 klinische Studien, 39 Reviews und 3 Overviews zu Akupunktur bei CIPN durchgeführt. Die Beurteilbarkeit der Evidenz ist dennoch weiterhin eingeschränkt. Am häufigsten wurden Punkte der c. stomachi (Hauptleitbahn des Fk „Magen“, wei jing), c. intestini crassi (Hauptleitbahn des Fk „Dickdarm“, dachang jing), c. hepatica (Hauptleitbahn des Fk „Leber“, gan jing), c. renalis (Hauptleitbahn des Fk „Niere“, shen jing), c. vesicalis (Hauptleitbahn des Fk „Blase“, pangguang jing), c. lienalis (Hauptleitbahn des Fk „Milz“, pi jing) und c. fellei (Hauptleitbahn des Fk „Gallenblase“, dan jing) sowie die Extrapunkte Ex19/EX-LE-10 („Die acht Winde“, bafeng) und Ex14/EX-UE‑9 („Die acht Schrägläufigkeiten“, baxie) behandelt. Die lokale Behandlung der Akren ist der ausschließlichen Behandlung von proximal gelegenen Punkten überlegen. Eigene klinische Studien zeigten signifikant positive Effekte auf elektroneurographische, klinische und symptombezogene Endpunkte bei diabetischer PNP und CIPN. Weitere Studien mit hoher methodischer Qualität sind notwendig zur Klärung optimaler Behandlungskonzepte, Wirkmechanismen und potenziell regenerativer Effekte der Akupunktur auf periphere Nerven.
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